Beschreibung
Der Komponist Cipriano de Rore wurde um 1515/1516 in Ronse (Renaix) in Flandern geboren 1). Nach Johann Gottfried Walter 2) stammt er aus Mecheln, eine Ansicht die erst 1983 durch neue Forschungen von A. Cambier widerlegt
werden konnten 1). Über seinen Lebenslauf in jungen Jahren und seine Ausbildung ist nur wenig überliefert. Aus dem
Briefwechsel mit seinen Mäzenen läßt sich die Hypothese ableiten, das de Rore sich zwischen 1542 und 1545 in Brèscia
aufhielt, sowie auch gelegentlich nach Venedig reiste. In dieser Zeit entstand sein 1. Madrigalbuch “I madrigali“ à 5 voci,
das 1542 in Venedig gedruckt wurde, nachfolgend mehrfach umgearbeitet und wieder neu verlegt. In einer Neuauflage
dieses Bandes (1569, Venedig) ist das hier vorgelegte Madrigal “Io canterei d’amor“ enthalten. Belegt ist ab 1546 seine
Tätigkeit als Kapellmeister am Hof des Herzogs Ercole II. d’Este (1508-1559) in Ferrara, einer Stadt, die seinerzeit als
Zentrum der Künste, speziell der Musik galt. Hier entstand sein 4. Madrigalbuch unter dem Titel “LE QVATOIRSIESME /
Liure a quatre parties contenant, /……“, das 1555 von Tylman Susato in Antwerpen veröffentlicht wurde. Es enthält das
hier vorgelegte lateinische Madrigal “Calami sonum ferentes“, das durch seine bemerkenswerte Besetzung (4 Bässe),
sowie wegen seiner kühnen Chromatik ein außergewöhnliches Werk darstellt. 1558 reiste de Rore nach München, wo er
die Anfertigung einer prachtvollen handschriftlichen Ausgabe seiner Motetten zu 4 bis 8 Stimmen beaufsichtigen konnte.
Danach begab er sich in seine Heimat nach Flandern, da dort sein älterer Bruder verstorben war. Zum Jahresende 1558
kehrte er nach Ferrara zurück. Nach dem Tod seines Dienstherren Herzogs Ercole II. d’Este bewarb er sich vergeblich
bei dessen Nachfolger Alfonso II. d’Este um die Verlängerung seiner Stelle als Kapellmeister. 1560 wurde de Rore an
den Hof Ottavio Farneses zu Parma berufen, wo er im Februar 1561 erstmals ein Gehalt bezog. 1563 trat de Rore die
Nachfolge von Adrian Willaert (1485-1562) an der venezianischen Basilica di San Marco an. Wegen interner Streitigkeiten gab er diese Position bereits 1564 wieder auf und trat erneut in die Dienste des Herzogs von Parma. Cipriano de
Rore verstarb zwischen dem 11. und 20. Sept. 1565 im in Parma.1) C. de Rore gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 16. Jhs. Von seinen Zeitgenossen erhielt er die durchaus seltene Bezeichnung “Il divino“ [Der Göttliche]. Auf
seinem Gedenkstein in der Domkirche zu Parma findet sich, zitiert nach J. G. Walter 2), folgendes Epitaph:
Cypriano Roro, Flandro. / artis musicæ / viro omnium peritissimo / cujus nomen famaque /
nec vetustate obrui / nec oblivione deleri poterit, / Herculis Ferrariens. Ducis II. / deinde Venetorum, /
postremo. / Octav I Farnes I Parma et Placentiæ / Ducis II, Chori Præfecto, / Ludovicus frater, fil et hæredes /
mæstissimi posuerunt. / Obiit anno M. D. LXV. ætatis XLIX.
In seinem 4. Madrigalbuch mit dem Titel “LE QVATOIRSIESME / Liure a quatre parties contenant, /…….“ erschien 1555
bei T. Susato in Antwerpen das Madrigal “Calami sonum ferentes“ für die recht ungewöhnliche Besetzung mit 4 BassStimmen. Es gehört zu den harmonisch kühnsten Schöpfungen de Rores 3). Bezüglich der Schreibweise folgt diese Ausgabe der Vorlage, obwohl sich in der Literatur auch die Variante „… ferentis“ 1) findet. Ähnlich außergewöhnliche Experimente mit der Chromatik machten seine Zeitgenossen Adrian Willaert, Don Carlo Gesualdo und Luca Marenzio. Der kanonartige Beginn des Madrigals mit einer fast durchgängig chromatischen Leiter (H-c-cis-d-dis-e~fis-g) im Contratenor
wird nach 3 Mensuren vom Superius wörtlich auf der gleichen Stufe beantwortet. Die sich daraus entwickelnde Harmonik
ist außerordentlich frei. Den Text des Madrigals verfaßte Giovanni Battista Pigna, der Hofdichter von Ercole II. d’Este in
Ferrara und beinhaltet Flucht und Rückkehr von Alfonso d’Este, dem Bruder von Ercole II. d’Este. Große Bedenken gegenüber diesen chromatisch-harmonischen Kühnheiten hegte noch im 19. Jh. der Musikhistoriker A. W. Ambros (1816-
1876), der sich zu diesem Werk kritisch äußert: „Aber da Cyprian so wenig als ein anderer seiner Zeit die wahren Gesetze chromatischer Verbindungen kannte oder kennen konnte, so kommt bei dem ostentiösen und tendenziösen Fortschreiten in Halbtönen und den gegen Natur und Gesetz der Töne streitenden Combinationen, welche das Resultat dieses Experimentirens sind, eine sehr unerquickliche Musik heraus, die nur als Curiosum von Interesse ist, schwerlich aber
jemals eines wohl organisirten Menschen Gefallen erregt haben kann.“
4) Dem heutigen Hörer wird sich dieses Stück
wohl nicht so “unerquicklich“ darstellen, eher faszinierend. Und ob Cipriano de Rore hier wirklich so planlos vorgegangen
ist, wie es Ambros unterstellt, mag man durchaus bezweifeln. In dieser Richtung äußert sich auch Hugo Leichtentritt, Hg.
des 4. Bandes der Musikgeschichte von A. W: Ambros: „……..Es ist aber Ambros‘ Urteil über die ganze chromatische Bewegung sehr der Revision bedürftig. Zwischen Ambros und unseren Tagen liegt das Zeitalter der Wagner, Liszt, César
Franck, Strauß, Wolff, Debussy, Reger,– wir haben gegenwärtig einen anderen Standpunkt der Chromatik gegenüber,
und von diesem Standpunkt aus erkennen wir in den besten Meistern der Chromatik des 16. Jahrhunderts ganz geniale
Züge, die man nicht als tappende Versuche, planloses, unsicheres, ratloses Hin und Her bezeichnen darf. ………. Auch
Ciprians Stück [Calami sonum ferentes] hat hochinteressante, ausdrucksvolle Züge….“ 5) . Dieser Standpunkt hat bis heute noch durchaus seine Richtigkeit. Insofern ist das Studium dieses bemerkenswerten Werkes immer noch eine lohnende Aufgabe.
Aufführungspraxis
Die Werke können in verschiedenen Besetzungen aufgeführt werden. Die vorlagengemäße ist die a-cappella-Besetzung
mit den in der Quelle genannten Stimmlagen. Bei “Calami ..“ ist aufgrund der tiefen Lage des Bassus‘ (tiefster Ton D) zu
vermuten, dass das Stück wohl einen Stimmton von mindesten 465 Hz, also einen Halbton über 440 Hz aufwies, möglicherweise noch höher. Bei “Io canterei …“ ist zu berücksichtigen, das Canto und Alto ursprünglich wohl mit Männerstimmen besetzt wurden. Heute wird man Canto mit Mezzosopran/Alt und Alto mit Alt oder ggf. Tenor, sowie Tenor/Bass entsprechend besetzen. Weiterhin ergibt sich auch die Besetzung mit Instrumenten, vorzugsweise Blasinstrumenten. Der
Ersatz von Vokalstimmen durch Blockflöten ist gängige, zeitgenössische Praxis. Bei gemischter, also Vokal-/Instrumentalbesetzung, müssen es 8‘-Instrumente sein, bei einer reinen Blockflötenbesetzung können auch 4‘-Instrumente eingesetzt werden. Möglich wäre auch eine vollständige Vokalbesetzung und zusätzlich ein 4‘-Chor mit Blockflöten. Hierbei
sind Blockflöten vom Renaissance-Typ zu bevorzugen. Als Tempo werden nach W. Apel 8) ca. 60 SB/min. vorgeschlagen.