Beschreibung
„Diese Komposition für Blockflötenquartett – ES IST KEINE BEARBEITUNG – orientiert sich eng an de originalen Musik (2.Fassung in a-moll) von Franz Schubert.“ Aus dem Vorwort von Heida Vissing)
Verschiedene Besetzungsmöglichkeiten angegeben im Heft (4-Fuß, 8-Fuß etc.).
Der Leiermann
Der Leiermann entstammt dem zweiteiligen und wohl bedeutendsten Liederzyklus „Die Winterreise“ von Franz Schubert (1797-1828 in Wien) nach Gedichten von Wilhelm Müller (1794-1827 in Dessau).
Die beiden Künstler sind sich persönlich nie begegnet, dennoch verbindet sie eine ausgesprochene Expressivität und Bildhaftigkeit in Text und Musik.
Sie beschreiben die 24 Stationen eines jungen Wanderers mit allen Höhen und Tiefen des Seins, die mit der schicksalhaften Begegnung des Leiermanns endet. Schubert vollendete die Winterreise mit dem Lied „Der Leiermann“ im Herbst 1827, ein Jahr vor seinem Tod. Es ist davon auszugehen, dass Wilhelm Müller die Vertonungen nicht mehr erlebt hat, denn er starb im Oktober 1827.
Der vollständige Titel lautet:
Winterreise. Ein Cyclus von Liedern von Wilhelm Müller. Für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte komponiert von Franz Schubert. Op. 89. Erste Abtheilung (Lied I–XII). Februar 1827. Zweite Abtheilung (Lied XIII–XXIV). October 1827.
Der Leiermann
Drüben hinterm Dorfe
Steht ein Leiermann
Und mit starren Fingern
Dreht er was er kann.
Barfuß auf dem Eise
Wankt er hin und her
Und sein kleiner Teller
Bleibt ihm immer leer.
Keiner mag ihn hören,
Keiner sieht ihn an,
Und die Hunde knurren
Um den alten Mann.
Und er läßt es gehen,
Alles wie es will,
Dreht, und seine Leier
Steht ihm nimmer still.
Wunderlicher Alter !
Soll ich mit dir geh’n ?
Willst zu meinen Liedern
Deine Leier dreh’n ?
Wilhelm Müller
Schubert gelingt es, diese Szene der Eiseskälte, der Einsamkeit und Armut des Leiermanns, der Bedrohung durch den Tod, der Hoffnungslosigkeit sowie der Starre, musikalisch eindrucksvoll darzustellen.
Die Leier, die mit ihrer hohlen Quinte a –e unaufhörlich gedreht wird, bildet den Bordun des Liedes, über dem auch die Harmonien und die Zeit stehen zu bleiben scheinen. Der Ausgang des Liederzyklus ist ungewiss. Nimmt der Wanderer den Leiermann letztendlich mit in den Tod oder gibt es doch noch Hoffnung?
Diese Komposition für Blockflötenquartett – ES IST KEINE BEARBEITUNG – orientiert sich eng an der originalen Musik (2. Fassung in a-moll) von Franz Schubert.
Es bleibt die unaufhörliche Quinte a-e im Bass und Tenor. Die beinahe quälende Zeit- und Endlosigkeit wird durch beständiges Wiederholen gleicher Motive, die auch bei Schubert zu finden sind, dargestellt und erlangen in dieser Komposition eine absolute Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Musik und Text lösen sich voneinander, die Spieler werden zu Rezitatoren und zu distanzierten Betrachtern des Werkes und der hoch emotionalen Situation des Leiermanns hinterm Dorf auf dem Eis.
Neben der angegebenen Besetzung im 4-Fuss (mit Alt-/Sopran-, Alt-, Tenor- und Großbass- oder Bassblockflöte) ist die Besetzung im 8-Fuss (mit Bass-/Tenor-, Bass-, Groß- und Subbassblockflöte) zu bevorzugen. Es wäre sehr schön und denkbar, dass eine fünfte und sechste Stimme (besetzt mit Groß- und Subbassblockflöten oder Streichern) mit der durchgängigen Quinte a-e hinzugefügt werden, insbesondere bei der Besetzung im 4-Fuss. Klanglich interessant wäre es vielleicht auch, die Takte 1-20 der ersten drei Stimmen nur von Alt- bzw. Bassblockflöten spielen zu lassen, und anschließend die Instrumente zu wechseln. Die Entscheidung möge jeder selber treffen.
Der gesprochene Text ist von dem musikalischen Geschehen drum herum unabhängig, und deshalb rhythmisch und dynamisch absolut frei zu gestalten.
Eine mögliche Idee für die Besetzung mit einem größeren Ensemble wäre, die Takte 1-20 solistisch zu besetzen und die folgende Dorfszene von allen Spielern der zweiten Stimme (Takt 22-38) als Getuschel unter den Dorfbewohnern darzustellen, während ab Takt 41 die Ausgrenzung, die Ablehnung und Verachtung synchron gesprochen werden soll.
„Und er lässt es gehen alles wie es will…..“. Die fassungslose Beobachtung der Dorfleute über die Starre und der monotonen Gleichgültigkeit, mit der der alte Mann seine Leier dreht, könnte wieder als allgemeines Getuschel von allen Spielern dieser Stimme gesprochen werden, während sich dann letztendlich eine Person (die des Wanderers) ab Takt 69 isoliert und dem wunderlichen Alten seine Begleitung anbietet. Wohin auch immer………
Übrigens: es lohnt sich unbedingt, „Die Winterreise“ von Franz Schubert mit in den CD-Schrank aufzunehmen.
Heida Vissing
Münster, im Oktober 2011