Beschreibung
Musik der Renaissance
von Bernardo Pisano (1490-1548),
Bartolomeo degli Organi (1474-1539),
Francesco de Layolle (1475-1540) (ETF 2021)
Florenz.
Diese Stadt ist länger als irgend eine Stadt in Europa im Besitze der Musik gewesen, wenn man den Dich-tern und Historienschreibern glauben darf. Dante, ein Florentiner, der 1265 geboren war, spricht von der Orgel und Laute als seiner Zeit sehr bekannten Instrumenten, und preißt gelegentlich seinen Freund Casella, einen Musiker im zweyten Gesange seines Purgatorio.
Der Geschichtsschreiber Villani, ein Zeitgenosse des Petrarca, sagt, dass seine Canzoni in Florenz allge-mein von Alten und Jungen beyderley Geschlechts wären gesungen worden. Man erzählt, daß Lorenzo il Magnifico, zur Carnevals Zeit des Abends auszu-gehen pflegte mit einem großen oftmals dreyhun-dert Mann starken Gefolge zu Pferde, die verlarvt und prächtig gekleidet waren, und mit eben soviel Fußgängern, die brennende Wachskerzen trugen, welche die Straßen so helle machten, als bey Tage, und dem ganzen Schauspiele ein herrliches Ansehn gaben. So zogen sie durch die Stadt von drey Uhr des Morgens an, sangen mit musikalischer Harmonie vier: acht: zwölf: ja gar funfzehnstimmig, und von verschiedenen Instrumenten begleitet, Lieder, Balla-den, Madrigale und Scherz=Gesänge, über allerhand damals beliebte Gegenstände; und diese hiessen Canti carnascialeschi, weil sie zur Carnevals Zeit gesungen wurden.
Selbst vor dieser Zeit noch ward die Gesellschaft der Laudisti oder Psalmsinger gestiftet, welche noch immer fortdauret. Sie heisst itzt La Compagnia, und sie giengen den Morgen nach meiner Ankunft zu Florenz, zwischen sechs und sieben Uhr bey dem Wirtshause, wo ich wohnte, vorbey in großer Proces-sion, in weisser Uniform, und mit brennenden Kerzen in der Hand. Sie hielten dicht bey der Domkirche still, um eine dreystimmige fröhliche Hymne zu singen, welche sie sehr gut ausführten. Eben so gehen die Kaufleute und Handwerker in besondern Haufen, singend durch die Straßen nach der Kirche. Die von der St. Benedict=Gemeine waren, wie Crescimbent erzählt, in ganz Italien berühmt; sie zogen noch im Anfange dieses Jahrhunderts zu Rom bey dem gro-ßen Jubelfeste durch die Gassen und sangen, so daß es Jedermann vergnügte und in Erstaunen setzte.
(Charles Burney, Tagebuch einer musikalischen Reise durch Frankreich und Italien, Hamburg, 1772, S.172-174)
Eindeutiger als Charles Burney es formuliert, lässt sich die musikalische Situation im Florenz der Me-dici wohl nicht beschreiben.
Das Madrigal zeigte in der florentinischen Musik zwischen ca. 1480-1520 eine besondere Entwick-lung, die eng an die Medici-Herrschaft und die kulturell konkurrierenden Familien (die Brüder Lorenzo und Filippo Strozzi) sowie die Medici-Päpste Leo X und Clemens VII gebunden war.
Die canti carnascialeschi (in ihrer Struktur recht einfach angelegte Madrigale) wurden zu bestimm-ten öffentlichen Anlässen des Jahres wie dem Karneval, den 1. Mai (Calendimaggio) oder den 24. Juni (Fest des Stadtpatrons San Giovanni) kompo-niert. Behandelt wurden politische, moralische, erotische und geschichtliche Themen, die auf hu-morvolle Weise von maskierten Sängern auf der Straße vorgetragen wurden.
Neben diesem öffentlichen Repertoire sind Madri-gale und Chansons bedeutender florentiner Poeten wie Lorenzo il Magnifico, Angelo Poliziano, Lorenzo Strozzi oder Luigi Alamanni überliefert, mit Texten von teilweise petrarchischer Liebeslyrik. Sie wur-den ausschließlich im häuslichen Kreis von Gelehr-ten, Künstlern und Kunstkennern vorgetragen zu Gelegenheiten wie z.B. die Diskussionen in den Orti Oricellari oder Bankette der Compagnia della Caz-zuola, in der neben anderen bedeutenden Künst-lern auch Andrea des Sarto und Bernardo Pisano Mitglieder waren.
Zu den Komponisten:
Bartolomeo degli Organi wurde am 24. Dezember 1474 in Florenz geboren und starb ebenda am 12. Dezember 1539. Den namentlichen Hinweis auf seinen Beruf „degli Organi“ übernahmen auch seine Söhne. Antonio und Lorenzo wurden eben-falls Organisten in Florenz; sein jüngster Sohn Pie-rino (1523/Florenz bis 1552/Rom) war ein begabter Schüler von Francesco da Milano und in der Mitte des 16. Jahrhunderts berühmt.
Bereits nach seinem 13. Geburtstag betätigte sich Bartolomeo als Sänger an der Florentiner Kirche SS. Annunziata. Seine Kompositionen weisen den Ein-fluss Heinrich Isaaks auf, der zur gleichen Zeit an SS. Annunziata wirkte. Vermutlich erhielt er bereits in dieser Zeit Unterricht bei Heinrich Isaak.
Sein Orgelstudium absolvierte Bartolomeo mög-licherweise bei Francesco Squarcialupi, und nach-dem er an verschiedenen florentiner Kirchen (S. Maria Novella, Santo Spririto, Badia) als Organist tätig war, trat er im Dezember 1509 die Nachfolge von Squarcialupi an der Kathedrale S. Maria del Fiore an.
Als „principe musica della città nostra“ (so wurde er von Francesco Zeffi in „ Le vite degli uomini della Casa Strozzi“ bezeichnet) verkehrte er in promi-nenten Florentiner Kreisen wie Lorenzo Strozzi, Benedetto Varchi, Niccolò Machiavelli und Lorzen-zo de‘ Medici. In dem persönlichen Dienst vom Herzog von Urbino stand er von ca. 1516-1519.
Seine Kompositionen umfassen sowohl geistliche und weltliche Werke, wie z.B. das hier abgedruckte Karnevalslied „Donne, per electione“ und zu seinem Schülerkreis zählte Francesco Layolle und vermut-lich auch Bernardo Pisano.
Francesco de Layolle (Aiolle, Ajolla, dell’Aiolle Layolla) wurde um 1475 in Florenz geboren und starb um 1540 in Lyon. Einer seiner drei Söhne Alemano (um 1520/Florenz oder Lyon? – 1576 oder 1577/Florenz) wurde ebenfalls Organist und lebte teilweise in Florenz und Lyon.
Francesco Layolle wurde um 1505/06 Musikmeis-ter von Benvenuto Cellini. Dieser schreibt in seinen Memoiren: „Et si mise in bottega innun suo palco Franceso della iolle il quali era gran sonatore die horgano et bonissiomo musico e conpositore. Cosi il detto Aiolle m’insegniava cantare e comporre et parendo al padre et al maestro che io fussi molto atto al tal cosa si provmettevano gran cosa di me“.
Andrea del Sarto stellte F. Layolle 1511 hinter Sansovino im Fresco der Anbetung der Könige im Kloster della Annunziata in Florenz dar, und um 1515-1520 malte Jacobo da Pontormo sein Portrait, das heute in den Uffizien zu besichtigen ist.
Auch er gehörte zu einer Gruppe angesehener Florentiner Literaten wie Luigi Alamanni, Antonio Brucioli und Zenobi Buondelmonte. Letztere drei Personen gehörten zu den Verschworenen des Komplotts, das 1521/22 gegen die Medici in Flo-renz geführt wurde.
Vermutlich hielt sich aber Layolle zu dieser Zeit (1521) schon mit seiner Familie in Lyon auf, wo er an der Florentiner Kirche Notre Dame de Confort als Organist und Komponist (Messen, Motetten, Madri-gale, frz. Chansons) und bei Jacques Moderne als Korrektor und eine Art künstlerischer Direktor beschäftigt war.
Nach dem gescheiterten Aufstand gegen die Medici nahm er Alamanni und Buondelmonte bei sich in Lyon auf.
Das letzte Werk Layolles „Cinquanta canzoni“ er-schien 1542 und endet mit dem Madrigal „per la morte de M. F. Layolle“.
Bernardo Pisano (Pisanello; Pagoli, Pagholi, Paoli), Bernardo Romolo wurde am 12. Oktober 1490 in Florenz geboren und starb am 23. Januar 1548 in Rom. Seine eigentliche Herkunft ist Florenz, im Taufregister dort ist er als Sohn von Piero Pagoli (Pagholi, Paoli) verzeichnet, vermutlich hat ein Aufenthalt in Pisa vor 1512 ihm den Namen Pisano eingebracht, denn Dokumente nach 1512 bezeich-nen ihn als Bernardo Pisano.
Sein Studium (Gesang und Grammatik) absolvierte er an der Florentiner Domschule. Er sang Sopran in der Kapelle von SS. Annunziata (1507) sowie in Orsanmichele (1509). In seinen Kompositionen, die vor 1515 entstanden, zeigen sich deutliche Einflüs-se von Bartolomeo degli Organi, bei dem er ver-mutlich studiert haben könnte.
Nachdem er 1511 die Priesterweihe erhielt wurde er maestro dei fanciulli an der Domschule und sang als Altist in der Florentiner Domkapelle sowie zu-dem in der Kapelle des Baptisteriums. Nach der Wahl von Kardinal Giovanni de‘ Medici zum Papst (Leo X.), verließ er Florenz und ging nach Rom. Von 1514 bis an sein Lebensende wirkt er als Sänger in der Päpstlichen Kapelle. Sein Amt als Kapellmeister an der Florentiner Kapelle nahm er von 1512 bis 1520 wahr, also noch einige Jahre, in denen er schon in Rom angestellt war.
Als angesehener Musiker und Gelehrter verkehrte Pisano in den führenden intellektuellen und künst-lerischen Kreisen seiner Zeit.
Als sich Florenz 1529 gegen den Medici Papst Cle-mens den VII. auflehnte, geriet Pisano bei einem Besuch in Florenz in den Verdacht ein päpstlicher Spion zu sein, kam ins Gefängnis, wurde gefoltert und ausgewiesen.
Er arbeitete auch unter Papst Clemens‘ Nachfolger weiterhin als Meister der Privatkapelle und sang in der Sixtinischen Kapelle, nach der Akten wurde er in S. Maria sopra Minerva, der letzten Ruhestätte der beiden Medici-Päpste, begraben.
Die Erstaufführungen seiner Kompositionen genos-sen großen Erfolg, besonders zu erwähnen ist die hier vorliegende Canzone nach der Dichtung Petra-rcas: Che debb‘ io far? Pisano gibt den strengen kontrapunktischen Satz auf, zugunsten einer am französischen Chanson orientierten Kompositions-form.
Münster, im Februar 2004
Heida Vissing