Beschreibung
Bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war die Musik aus der spanischen Kolonial-zeit in Südamerika eine „terra incognita“. Zwar gab es eine Handvoll Veröffentlichungen über diese Musik, etwa von Robert Stevensen, Andres Sas, Rodolfo Holzmann u.a., aber die Musik selbst war völlig unbekannt. Es gab keine Partituren, keine Ausgaben, geschweige denn Auf-nahmen. Das änderte sich, nachdem Arndt von Gavel mit Unterstützung der Deutschen For-schungsgemeinschaft in Lima/Perú aus dem Material, das er in einigen Archiven des Landes gefunden hatte, eine Reihe von Partituren, meist geistlicher Werke, erstellt, diese mit seinem Chor der „Asociacion Artistica y Cultural Juesves“ auf zwei Schallplatten eingespielt und schließlich im Januar 1974 in einem ersten Denkmälerband veröffentlicht hatte. Inzwischen gibt es zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema, Partituren sind gedruckt worden und eine erkleckliche Zahl von CD’s mit Musik aus der spanischen Kolonialzeit sind erschienen und im Handel erhältlich. In diesem Zusammenhang sind besonders die musikologischen Untersu-chungen hervor zu heben, die in den ehemaligen Jesuitenreduktionen im Grenzgebiet von Boli-vien, Paraguay und Argentinien stattgefunden haben.
Die Erstellung moderner Partituren – unabdingbare Voraussetzung für die praktische Umsetz-barkeit der Musik – stieß auf eine Reihe von Schwierigkeiten: In den Archiven finden sich, mit wenigen Ausnahmen, keine Partituren, sondern nur Einzelstimmen; d.h. das Aufführungsmate-rial der Kapellen, von Kopisten – zumeist Mitgliedern der Kapelle, vor allem den Kapellknaben – aus den Originalpartituren des Komponisten herausgeschrieben (s. Abb. im Umschlag). Es liegt auf der Hand, dass diese Kopien von Fehlern wimmeln. Die Einzelstimmen mussten nun zu heute verwendbaren Partituren zusammengeschrieben werden, was in der Praxis ein Nachkom-ponieren bedeutete. Erschwerend kam hinzu, dass bei manchen Kapellen, z.B. in Cuzco, der ehemalihen Hauptstadt des Inca-Reiches, eine spezielle, recht eigenwillige Variante der Mensu-ralnotation verwendet wurde.
Das Stimmenmaterial für die vorliegende dreichörige Motette „Dixit Dominus“ von Juan de Araujo stammt aus dem Archiv des „Seminario San Antonio Abad“ in Cuzco, einem ehemaligen Jesuitenkolleg. Das Werk wurde erstmals in dem oben erwähnten Denkmälerband „Investigacio-nes Musicales de los Archivos Coloniales en el Perú“ veröffentlicht. Obwohl erst ca. 100 Jahre später komponiert, weist das Werk die charakteristischen Merkmale der venezianischen Schule des Andrea und Giovanni Gabrieli aus der Zeit um 1600 auf. Die ursprüngliche Notierung des Sopran, Alt und Tenor im C-Schlüssel ist in die heute übliche Notierung für ein Blockflötenen-semble umgesetzt worden. Für diese rein instrumentale Ausführung empfiehlt es sich, die drei Chöre klanglich voneinander abzusetzen (z.B. Hochchor – Hochchor – Tiefchor; Blockflöten – Holzbläser – Streicher; usw.). Auch die räumlich getrennte Aufstellung der Chöre ist zu empfeh-len.
Hinzufügungen des Herausgebers sind über den Noten durch ( ) kenntlich gemacht.
Juan de Araujo wurde um 1648 in Villafranca (Spanien) geboren. Schon als Kind gelangte er nach Perú, wohin sein Vater als königlicher Verwaltungsbeamter entsandt worden war. Er studierte an der Universität San Marcos in Lima Musik bei Tomás Torrejón y Velasco (1644-1728). 1672 wurde Araujo Kapellmeister an der Kathedrale von Lima, gab diesen Posten aber schon 1676 wieder auf, um in gleicher Funktion in der außerordentlich reichen Hauptstadt der Audiencia de Charcas, dem heutigen Sucre (Bolivien) tätig zu werden. Dort blieb es bis zu seinem Tode 1712. Juan de Araujo ist neben seinem Lehrer und Nachfolger im Amt in Lima der wohl bedeutendste und fruchtbarste Komponist im spanischen Kolonialreich in Südamerika gewesen.